Die Austragungsorte der jährlich stattfindenden NATO-Schachmeisterschaften werden grundsätzlich fünf Jahre im Voraus festgelegt. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der besonderen Betroffenheit der baltischen Staaten war es insofern Zufall, aber doch eine durchaus passende Wahl, dass die 32. NATO-Schachmeisterschaft in diesem Jahr in Estland und damit zum zweiten Male in einem baltischen Staat ausgetragen wurde. Konnte so der Zusammenhalt der NATO-Staaten besonders mit den baltischen Ländern im Rahmen der NATO-Schachgemeinschaft weiter gestärkt werden. Welche Bedeutung das Gastgeberland dieser Veranstaltung beimaß, ließ sich allein daran erkennen, dass der Ausrichter mit dem Befehlshaber der Verteidigungskräfte der Republik Estland, Generalleutnant Martin Herem, einen sehr prominenten Schirmherrn für das Turnier gewinnen konnte. Dieser ließ es sich dann auch nicht nehmen, an dem im Rahmenprogramm ausgetragenen Blitzturnier teilzunehmen, wobei er sich als respektabler Schachspieler erwies. Daneben bot die Meisterschaft in Estland auch eine gute Gelegenheit, Land und Leute besser kennenzulernen, was stets auch ein wichtiger Aspekt dieser Veranstaltung ist.

Das Turnier wurde vom 27. Juni bis zum 1. Juli 2022 in Tartu ausgetragen, das mit knapp 100.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes ist. Die An- und Abreise per Flugzeug erfolgte über die estnische Hauptstadt Tallinn. Dies nutzten einige der Teilnehmenden, um die sehr schöne, alte Stadt kennenzulernen. Tallinn, das bis zur ersten estnischen Unabhängigkeit von Russland im Jahre 1918 Reval hieß, ist vor allem mit seinem Domberg und seiner Altstadt bis heute noch von der teils dänischen, teils deutschen Vergangenheit zur Zeit der Hanse geprägt. Aus kulinarischer Sicht sehr beliebt unter Touristen und in der Tat auch lohnenswert ist ein Besuch des traditionsreichen Restaurants „Olde Hansa“.

Und auch Tartu hat seine Reize als eine sehr liebenswerte und lebendige Universitätsstadt, wie die Teilnehmenden feststellen durften. Dass die Menschen hier mit noch größerer Sorge auf den Krieg in der Ukraine schauen, ist nur zu verständlich. Schließlich ist die russische Grenze doch gerade einmal 50 Kilometer von Tartu entfernt. So war dann auch der Besuch des an der Grenze gelegenen Peipussees ein Teil des Rahmenprogramms. Mit Lionel Kieseritzky, der hier geboren wurde und auch hier studierte, hat die Stadt zudem einen bedeutenden Schachspieler hervorgebracht. Dass dieser ausgerechnet durch eine Verlustpartie, die sogenannte „Unsterbliche“ gegen Adolf Anderssen, zu besonderer Prominenz gelangte, tut dem keinen Abbruch. Auch vom Wetter her zeigte sich Tartu von seiner besten Seite: Fünf Tage Sonnenschein bei Temperaturen von zum Teil über 30°C, die dann aber doch dem einen oder der anderen während der Meisterschaft etwas zusetzten.

94 Spielerinnen und Spieler aus 15 Nationen am Start

Die NATO-Schachmeisterschaft wurde wie immer als siebenrundiges Einzelturnier mit Mannschaftswertung ausgetragen. Insgesamt nahmen 94 Akteure aus 15 Ländern teil. Je Nation können offiziell acht Spielerinnen und Spieler gemeldet werden, von denen sechs im nationalen Team antreten und zwei auf NATO-Teams verteilt werden. Akteure mit mindestens acht Einsätzen bei NATO-Meisterschaften, sogenannte Lifetime Member, können darüber hinaus in NATO-Teams spielen. Je Team werden die vier Bestplatzierten in der Einzelwertung für die Mannschaftswertung berücksichtigt.

Es gehört zur guten Tradition des Turniers, dass vor den Partien ein Gastgeschenk an den Gegner übergeben wird. Auch in diesem Jahr stellte Chessbase Präsente für alle Partien der deutschen Equipe zur Verfügung. Diese erfreuten sich bei den Gegnern großer Beliebtheit und wurden sehr dankbar von den Mitstreitern der anderen Nationen entgegengenommen.

Griechenland, Polen und die USA in der Mannschaftswertung auf dem Treppchen

Das Team der Bundeswehr ging in diesem Jahr geschwächt an den Start, da die nominellen Nummern zwei und drei nicht mitspielen konnten. Besonders stark war erneut das griechische Team vertreten, dass in den letzten beiden Meisterschaften jeweils zum Teil nur ganz knapp und auch etwas unglücklich den Meistertitel verpasste. Und natürlich galt Polen als Titelverteidiger als heißer Anwärter auf den Mannschaftstitel.

Allerdings zeichnete sich spätestens nach der fünften Runde ab, dass sich Griechenland den Sieg in diesem Jahr nicht nehmen lassen würde. Mit dreieinhalb Punkten Vorsprung vor der letzten Runde waren die Griechen schließlich quasi uneinholbar in Führung, so dass es eigentlich nur noch um die weiteren Plätze auf dem Treppchen ging. Hier lagen Polen und Deutschland gleichauf und das Team der USA folgte mit nur einem halben Punkt Rückstand. In der finalen Runde punktete Polen dann besser und auch die US-Amerikaner schoben sich noch vor das Bundeswehr-Team.

In der Mannschaftswertung ergaben sich somit folgende Platzierungen:

RangNationPunkte
1Griechenland23
2Polen19,5
3USA19
4Deutschland18,5
5Litauen15,5
6Lettland15,5
7England15,5
8Dänemark15
9NATO 214,5
10Slowenien14,5
11Niederlande14
12NATO LTM14
13NATO 113,5
14Estland13
25Belgien13
16Kanada12,5
17Norwegen5
18Ungarn2,5

Premiere für Knut in der Ägäis – Deutsche Mannschaft erstmalig nicht unter den besten drei Nationen

Damit durfte Griechenland zum ersten Mal die Bronzestatue des dänischen Königs Knut als begehrte Trophäe für die Mannschaftswertung in Empfang nehmen. Und auch aus deutscher Sicht war das Ergebnis einmalig: Konnte das Bundeswehr-Team doch bisher in weit mehr als der Hälfte der vergangenen 31 Meisterschaften den Sieg davontragen oder sich einen zweiten bzw. zuletzt zumindest einen dritten Platz sichern. Der vierte Platz stellt somit das bislang schlechteste Ergebnis der deutschen Equipe dar.

Die deutsche Mannschaft (v.l.n.r.): Stabsunteroffizier Wilhelm Jauk, Stabshauptmann a.D. Karl Koopmeiners, Oberstleutnant Guido Schott, Ulrich Bohn, Ken Koort (Präsident des estnischen Schachverbandes), Generalleutnant Martin Herem (Schirmherr), Oberstleutnant i.G. Oliver Nill, Regierungsinspektoranwärter FM Robert Stein, Oberstabsfeldwebel Marko Sauer, Technischer Regierungsoberinspektor Tobias Jacob

Griechische Dominanz in der Einzelwertung – FM Robert Stein auf Rang 3

In der Einzelwertung konnte die Nummer eins des deutschen Teams, FIDE Master (FM) Robert Stein, seiner Favoritenrolle als Führender der Startrangliste nicht ganz gerecht werden. Mit einer sehr soliden Leistung erreichte er mit 5,5 Punkten aus 7 Runden – bei drei Remisen – einen guten dritten Platz.

Natürlich dominierte auch hier die Auswahl aus Griechenland: Mit einem überzeugenden Resultat von 6,5 Punkten wurde CM Alexandros Papasimakopoulos völlig verdient und souverän Erster, vor seinem Landsmann IM Anastsios Pavlidis mit 6 Punkten. Letzterer gewann dann auch den Schönheitspreis mit einer eindrucksvollen Partie gegen den US-Amerikaner Eigen Wang, der, ebenso wie Robert Stein mit 5,5 Punkten, auf dem vierten Platz landete. Mit gleicher Punktzahl rundete WIM Ekaterini Pavlidou, die Schwester von Anastasios Pavlidis, den Erfolg des griechischen Teams auf Platz 5 ab.

In der Einzelwertung ergaben sich auf den ersten zwanzig Rängen folgende Platzierungen:

RangNameNationPunkteBuchholz
1CM Papasimakopoulos, AlexandrosGRE6,530,5
2IM Pavlidis, AnastasiosGRE632,5
3FM Stein, RobertDEU5,534,5
4Wang, EigenUSA5,531,5
5WIM Pavlidou, Ekaterini GRE5,527,5
6Cichy, KamilPOL531
7Pietruszewski, MarcinPOL530
8Graczyk, DamianPOL530
9Nikomanis, AndreasGRE527,5
10Flaata, AlexanderNOR527
11Onley, DavidENG527
12Rizihs, ValerijsLAT524
13Valeinis, JanisLAT4,531,5
14Sycz, DariuszPOL4,530
25Bohn, UlrichGER4,529,5
16Kedzierski, SlawomirPOL4,529
17Tustanowski, MateuszPOL4,528
18Duren, AndrewUSA4,527,5
19Keough, RobertUSA4,527,5
20Peraino, AndrewUSA4,527

Die Platzierungen der deutschen Spieler im Einzelnen:

NamePunkte
FM Robert Stein (Regierungsinspektoranwärter)BwDLZ Doberlug-Kirchhain5,5 (3. Platz)
Ulrich BohnZCSBw – DEUmilSAA, Koblenz4,5 (15. Platz)
Oliver Nill (Oberstleutnant i.G.)KdoLw, Berlin4,5 (21. Platz)
Wilhelm Jauk (Stabsunteroffizier)ABCAbwReg 1, Strausberg4 (26. Platz)
Marko Sauer (Oberstabsfeldwebel)LogKdoBw, Erfurt4 (27. Platz)
Guido Schott (Oberstleutnant) LtStff/ FlBschft BMVg, Köln 4 (36. Platz)
Tobias Jacob ( Technischer Regierungsoberinspektor)BAAINBw ZtQ4.1, München4 (38. Platz)
Karl Koopmeiners (Stabshauptmann a.D.)2 (82. Platz)

Papasimakopoulos ebenfalls mit Sieg im Blitzturnier

Abschließend wurde wie in jedem Jahr ein Blitzturnier ausgetragen. Hier fanden sich immerhin 77 Teilnehmende, die über elf Runden im Schweizer System gegeneinander antraten. Auch in diesem Wettbewerb ließ CM Alexandros Papasimakopoulos mit 9,5 Punkten nichts anbrennen und siegte mit einem halben Zähler Vorsprung vor FM Robert Stein. Mit acht Punkten sicherte sich WIM Ekaterini Pavlidou den dritten Platz punktgleich vor Eigen Wang.

Nachfolgend die Platzierungen auf den ersten zehn Rängen:

RangNationPunkte
1CM Papasimakopoulos, Alexandros (GRE)9,5
2FM Stein, Robert (GER)9
3WIM Pavlidou, Ekaterini (GRE)8
4Wang, Eigen (USA)8
5FM Pedersen, Finn (DEN)7,5
6 Mouroutis, Konstantinus (GRE)7,5
7IM Pavlidis, Anastasios (GRE)7,5
8 Pietruszewski, Marcin (POL)7,5
9Jacob, Tobias (GER)7,5
10 Stankowski, Aleksander (POL)7

Alle Informationen zu Paarungen und Platzierungen der 32. NATO Schachmeisterschaft können auf den Internetseiten https://www.natochess22.ee/ bzw. https://www.natochess.com/2022/ eingesehen werden.


Die nächste NATO Meisterschaft ist vom 04. bis 08. September 2023 in Portorož an der slowenischen Adriaküste geplant. Das deutsche Team möchte auch dann wieder mithilfe der Unterstützung durch die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung e.V. ganz vorne um die Meisterschaft mitspielen.



Übergabe des Wikingerschiffs als Staffelstab für die Ausrichtung der NATO Meisterschaft von Colonel Mati Tikerpuu (EST, re.) an Captain Peter Papler (SLO)

Text: Ulrich Bohn (redaktionelle Bearbeitung durch KAS)
Fotos: © Estland Orga Team